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2004

2005

Die Eide der Ärzte - voller Widersprüche
Sanktionsfreiheit bei (Selbst-) Meldung ??
Nach Prozess um Arzt: Ermittlungen wegen Urkundenfälschung
Meininger Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Unbekannt wegen Urkundenfälschung
Tochter nahm eine Odyssee für die Gerechtigkeit auf sich
Jahrelanger Kampf ums Schmerzensgeld
Prozess gegen Chefarzt eingestellt
Im Nachhinein klüger
Verfahren eingestellt
Verfahren gegen Ex-Chefarzt aus Suhl eingestellt
Tod im Krankenhaus beschäftigt die Justiz
Tabuthema Ärztepfusch
Herzattacke vor dem Urteil
Notarzt im Gerichtssaal
„Ich vermute, ich habe Herzinfarkt“
Verhandlung überraschend abgebrochen
VERFAHREN GEGEN EHEMALIGEN CHEFARZT
Widersprüche in Arztbriefen
Der grauenhafte Tod einer jungen Frau
Fragwürdige Verzögerung
Weiter schweigen über Behandlungsfehler
Hinreichender Tatverdacht

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Freies Wort, Seite 3 vom 29.11.2003

Ermittlung wegen eidlicher Falschaussage gegen Ex-Chefarzt der Suhler
Frauenklinik

Die Eide der Ärzte - voller Widersprüche

Das Grab von Anja Kordes - eine Mahnung auch an die Medizin.

VON ULLY GÜNTHER
Im März dieses Jahres stand der ehemalige Chefarzt der Suhler
Frauenklinik vor Gericht. Der Vorwurf: fahrlässige Tötung der Patientin
Anja Kordes. Das Verfahren wurde Anfang April ohne Auflagen eingestellt.
Aber es hat ein Nachspiel. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen
Urkundenfälschung gegen Unbekannt und wegen eidlicher Falschaussage
gegen den ehemaligen Chefarzt.
Anja Kordes war am Abend des 1. Februar 1997 in die Suhler Notaufnahme
eingeliefert worden mit unklaren Symptomen: Schockzustand, einem
100-fach überhöhten Entzündungswert, dazu Sehstörungen und
Lähmungserscheinungen. Erst einen Tag zuvor hatte sie die Klinik
verlassen nach einer Totgeburt. Frau Kordes wurde von zwei Ärzten der
Gynäkologie untersucht, von einem Röntgenarzt, einem Anästhesisten,
einem Internisten. Ihr Brustkorb wurde geröntgt, eine
Computertomographie des Schädels angefertigt, eine
Ultraschalluntersuchung des Bauches vorgenommen. - Ohne Ergebnis. Die
Stationsärzte waren ratlos, sie holten spät in der Nacht den Chefarzt
der Frauenklinik ins Haus. Dann fiel die Entscheidung, Frau Kordes mit
dem Krankenwagen nach Hildburghausen zu verlegen, obwohl - wie der
Chefarzt später in seiner eidesstattlichen Erklärung schreibt " der
?lebensbedrohliche Zustand der Patientin klar erkennbar war".
Telefonisch kündigte der Chefarzt selbst in dieser Nacht die Patientin
bei der diensthabenden Ärztin in Hildburghausen an. Er habe, so schreibt
er in seiner eidesstattlichen Erklärung eine Erkrankung des zentralen
Nervensystems (Gehirn oder Rückenmark) angenommen. ?Daher rief ich
sofort persönlich (ich erwartete dadurch den größten Nachdruck für eine
sofortige Diagnostik auch in den Nachtstunden) die Landesfachklinik für
Neurologie und Psychiatrie an... In Gegenwart der beteiligten Ärzte bat
ich darum, dass sofort eine sogenannte Lumbalpunktion durchgeführt
werden solle (Entnahme von Rückenmarksflüssigkeit zur Diagnostik mit
Nachweis von Entzündungszeichen in Rückenmark und Gehirn).
Er habe die Ärztin am Telefon förmlich beschworen, erklärt der Chefarzt
an anderer Stelle. Seine eidesstattliche Versicherung hat er beim
Landgericht Hamburg vorgelegt, um eine einstweilige Verfügung zu
erreichen gegen die Sendung ?Tod einer Patientin, die der MDR zum Fall
Anja Kordes plante.
Ob der Chefarzt bei jenem nächtlichen Telefonat mit solchem Nachdruck
die neurologische Behandlung von Frau Kordes forderte, wie er in dieser
eidesstattlichen Erklärung angibt? Er selbst schreibt in einer
Stellungnahme für die Krankenkasse zum Fall Anja Kordes: !Die am Telefon
hilfsbereite und entgegenkommende Kollegin (in Hildburghausen - d. Red.)
informierte mich dann noch über die Schwierigkeiten, die sie jetzt
hätte, eine Enzephalitis oder Meningitis auszuschließen, weil dafür
nachts und an Wochenenden kein Labor zur Verfügung stünde. Darüber war
ich dann doch verwundert, war aber nicht mein Problem. Sie versicherte,
sie würde das Problem schon klären und übernahm am Telefon bereitwillig
die Patientin..."
Aussagen im Widerspruch
Folgendes wäre gemäß dieser Version passiert in jener Nacht: Einer
Ärztin wird eine Patientin in Lebensgefahr angekündigt mit 100-fach
erhöhten Entzündungswerten, mit dem Verdacht einer schweren Entzündung
im Gehirn, mit der dringenden Bitte um sofortige Entnahme von
Rückenmarksflüssigkeit - und die Ärztin sagt mitten in der Nachtschicht
um 2 Uhr an einem Samstag, sie habe zwar am Wochenende kein Labor, aber
sie werde das Problem schon lösen.
Die Ärztin erzählt eine ganz andere Version der Ereignisse. Vor Gericht
hat sie ihre Version jenes Telefonates erzählt unter Eid. Erste Aussage:
"Wenn davon (von einer Enzephalitis oder Meningitis - d. Red.) die Rede
gewesen wäre, hätte ich gesagt, die Patientin soll nach Meiningen
verbracht werden, da dort die Versorgung in der Beziehung besser ist."
Zweite Aussage: "Von einer Lumbalpunktion war nicht die Rede."
Dritte Aussage: !In dem Gespräch war von einer direkten neurologischen
Untersuchung nicht die Rede."
Vierte Aussage unter Eid: "Ich habe die Patientin als Verdacht auf eine
Wochenbettpsychose angekündigt bekommen und nicht wegen neurologischer
Untersuchungen."
Diese beeideten Aussagen der Hildburghäuser Ärztin stehen den Aussagen,
die der ehemalige Chefarzt der Suhler Frauenklinik an Eides statt
gemacht hat, diametral entgegen. Einer der beiden geleisteten Eide, das
kann man daraus schließen, ist falsch. Bloß welcher? Die Hildburghäuser
Ärztin lüge, behauptet der ehemalige Chefarzt der Suhler Frauenklinik.
Beim Prozess gegen den ehemaligen Chefarzt hatte die Hildburghäuser
Ärztin ihre Aussagen als Zeugin mit einem Eid bekräftigt. Bei diesem
Prozess zog sie das Verlegungsprotokoll aus der Tasche, das sie in jener
Nacht vom Klinikum Suhl erhielt, als Anja Kordes bei ihr eingeliefert
wurde. Dieses Protokoll stimmte seltsamerweise nicht mit jener Version
überein, die dem Gericht vorlag und von der Kripo im Suhler Klinikum
beschlagnahmt worden war. Deswegen ermittelt die Staatsanwaltschaft nun
wegen Urkundenfälschung. Eigentlich hätten die Protokolle identisch sein
müssen. Das Suhler Protokoll ist wahrscheinlich nachträglich ergänzt
worden von der behandelnden Ärztin in der Suhler Frauenklinik. Diese
Ergänzungen weisen noch einmal eigens auf die ?neurolog. Urs. hin,
fordern bei weiterem Anstieg der Entzündungsparameter ein
gynäkologisches Konzil ?gleich (dieses Wort ist zwischen die Zeilen
eingefügt) durch ?und (dieses Wort ist unterstrichen in der veränderten
Version). Ferner wird ergänzend vermerkt: "Bei Unklarheit Laparaskopie
(Bauchspiegelung - d. Red.) bei uns." Damit passen die offensichtlichen
Nachträge, die in Suhl gemacht wurden, trefflich zur Version jener
Nacht, die der ehemalige Chefarzt vorträgt: Sie betonen die
neurologischen Untersuchungen, sie zeigen, dass die Suhler (?gleich-) es
eilig hatten, sie scheinen zu belegen, dass man zur weiteren Klärung
durch eine Bauchspiegelung die Patientin schnellstmöglich zurückhaben
wollte, falls nichts gefunden wird in Hildburghausen.
So hat es der Chefarzt geschildert vor Gericht und in seiner
eidesstattlichen Erklärung. So haben es die Gutachter zum Fall Anja
Kordes in ihren Akten vorgefunden, als noch nicht bekannt war, dass es
verschiedene Versionen dieses Protokolls gibt. Wie die beiden Versionen
des Verlegungsprotokolls zustande kamen? Er habe mit der betreffenden
Ärztin geredet, sie könne es sich nicht anders erklären, als dass sie
das Protokoll etappenweise geschrieben habe und die Endfassung
vervollständigt habe, nachdem sie die letzten Worte seines nächtlichen
Telefonates mit der Hildburghäuser Kollegin mitgehört habe, argumentiert
der ehemalige Chefarzt. Warum sie ausgerechnet die erste und
unvollständigere Protokollversion mit nach Hildburghausen schickte in
jener Nacht, könne sich die Ärztin selbst nicht erklären. Und warum
überhaupt unterschiedliche Versionen zustande kommen, wo doch Blaupapier
zwischen den Durchschlägen liegt? Es sei möglich, dass das Blaupapier
von der Ärztin herausgenommen wurde vor den Nachträgen, erklärt der
Chefarzt in einer Stellungnahme. Das habe ihm die Ärztin so geschildert.
Das Protokoll ist nicht vom Chefarzt unterzeichnet. Er habe es gar nicht
zu Gesicht bekommen in jener Nacht, sagt er. Unterschrieben hat die
diensthabende Ärztin, die sich beim Prozess in Suhl, obwohl als Zeugin
geladen, zunächst beim ersten Termin entschuldigen ließ und später vom
Richter nicht mehr gehört wurde. Auf der ergänzten Version des
Protokolls ist zusätzlich der Name des in jener Nacht anwesenden
Stationsarztes vermerkt.
Die betreffende Ärztin selbst gab gegenüber Freies Wort keinerlei
Auskunft. Am Telefon teilte sie lediglich mit, unser Anruf sei "ja wohl
der Gipfel", sie unterliege der ärztlichen Schweigepflicht. Seltsam ist,
dass die Protokolle zwei unterschiedliche Daten aufweisen und dass die
ergänzte Version den Titel "Kurzbrief" trägt, der eigens zwei mal
unterstrichen wurde - offensichtlich mit einem Lineal: Folgt man den
Angaben der Suhler Ärzte, muss das in jener so dramatischen Nacht
erfolgt sein, in der Anja Kordes verlegt wurde. Es war die Nacht vom
Samstag zum Sonntag. Aus den Akten der ehemaligen Landesfachklinik für
Neurologie und Psychiatrie in Hildburghausen geht hervor, dass dort
tatsächlich eine Rückenmarkspunktion in Erwägung gezogen wurde.
Am Sonntag, 14 Uhr, wurde eingetragen: "Lumbalpunktion war nicht
sinnvoll, da kein Labor gefunden werden konnte." Offenbar hatten die
Ärzte bei mehreren verschiedenen Labors im Umkreis von etwa 80
Kilometern nachgefragt. Der Anwalt des Suhler Chefarztes wertet dies als
klaren Beleg für die Forderung der Rückenmarkspunktion durch seinen
Mandanten bei dessen nächtlichem Anruf in Hildburghausen. Am Sonntag,
besuchte gegen Mittag Elmar Kordes seine Frau Anja in Hildburghausen.
"Das erste, was der Arzt dort zu mir gesagt hat, war der Satz, ihre Frau
hat garantiert keine Wochenbettpsychose", erinnert sich Kordes.
Heute fragt er sich, warum er ausgerechnet mit diesem Satz empfangen
wurde. Gegen 15 Uhr an jenem Sonntag meldete sich telefonisch noch
einmal der Suhler Chefarzt in der Hildburghäuser Klinik. Der
diensthabende Arzt in Hildburghausen notiert den Gesprächsinhalt. Er
schreibt: "Sollte keine neurologische Erkrankung vorliegen, möchte er
(der Suhler Chefarzt - d. Red.) die Patientin zur Laparaskopie
zurücknehmen." Gegen die Behauptung, er habe die Patientin Anja Kordes
nach Hildburghausen in die Psychiatrie verlegen lassen " wo sie in jener
Nacht tatsächlich gelandet ist " mit der Diagnose -Wochenbettpsychose-
hat sich der Chefarzt immer eindeutig verwahrt. Sie sei ehrverletzend
und unwahr.
Hören wir noch mal die Aussage der Hildburghäuser Ärztin unter Eid: "ich
habe die Patientin als Verdacht auf Wochenbettpsychose angekündigt
bekommen und nicht wegen neurologischer Untersuchungen."
Entscheidung in Hamburg
Weil der MDR die Sendung "Tod einer Patientin" trotz der einstweiligen
Verfügung ausstrahlte, die der ehemalige Chefarzt durch seine
eidesstattliche Erklärung erwirkte, lief gestern ein Prozess gegen den
MDR in Hamburg, bei dem es um die künftige Unterlassung der Ausstrahlung
ging. Das Gericht kündigte eine Entscheidung im Februar an.
Das Ermittlungsverfahren wegen falscher eidesstattlicher Aussage hat die
Staatsanwaltschaft Meiningen inzwischen an die Kollegen nach Hamburg
weitergeschoben. Beim Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen
Urkundenfälschung dürfte vermutlich nicht viel herauskommen, weil als
Urkundenfälschung nur gilt, wenn eine Person die Urkunde einer anderen
Person im Nachhinein manipuliert. Das ist im Suhler Fall unwahrscheinlich.
Hätte man bei Anja Kordes in jener Nacht der Verlegung oder am nächsten
Tag eine Bauchspiegelung (Laparaskopie) gemacht, dann wäre sicher
aufgefallen, so der Sachverständige Walter Kuhn, der den Fall im Auftrag
der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen begutachtet hat, dass
eine Vene im Darm verschlossen war. Dort saß die Krankheit. Sie ist sehr
selten und schwer zu diagnostizieren. Anja Kordes wurde am Dienstag, 4.
Februar 1997, in Hildburghausen notoperiert. Ihr Darm war zu großen
Teilen verfault. Sie lag danach sieben Wochen im künstlichen Koma. Sie
war zu 90 Prozent schwer behindert. Ihr Körper sah aus wie ein
Schlachtfeld. Sie starb nach zweieinhalbjährigem Leiden.







Im Gutachten 2003 schlägt der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen u. a. eine
Sanktionsfreiheit bei (Selbst-) Meldung
vor.....
lange Fassung: Seite 376, Abs. 497, Punkt 5
kurze Fassung: Seite 65, Abs. 112., Punkt 5
Zitat:
„Sanktionsfreiheit bei (Selbst-) Meldung gegenüber den Haftpflichtversicherern, Fragen der sonstigen wirtschaftlichen, zivilrechtlichen und gegebenenfalls strafrechtlichen Sanktionsfreiheit bei (Selbst-) Meldung.“

Alles dazu hier ...






Nach Prozess um Arzt: Ermittlungen wegen Urkundenfälschung

Quelle: Thüringer Allgemeine Zeitung vom 26. Juni 2003

Meiningen (dpa/th) - Nach dem eingestellten Strafverfahren gegen einen Frauenarzt in Suhl ermittelt die Staatsanwaltschaft Meiningen wegen Urkundenfälschung. Es sei ein Verfahren gegen unbekannt eingeleitet worden, teilte die Behörde am Mittwoch mit. Im Prozess gegen den ehemaligen leitenden Frauenarzt der Klinik Suhl war der Verdacht auf Fälschung von Patientenunterlagen aufgetaucht. Das Verfahren wurde im April eingestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Mediziner
fahrlässige Tötung vorgeworfen.







Meininger Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Unbekannt wegen Urkundenfälschung.

Meldung an DPA vom 25.Juni 2003

Nach Prozess um Arzt: Ermittlungen wegen Urkundenfälschung
Meiningen (dpa/th) - Nach dem eingestellten Strafverfahren gegen einen Frauenarzt in Suhl ermittelt die Staatsanwaltschaft Meiningen wegen Urkundenfälschung. Es sei ein Verfahren gegen unbekannt eingeleitet worden, teilte die Behörde am Mittwoch mit. Im Prozess gegen
den ehemaligen leitenden Frauenarzt der Klinik Suhl war der Verdacht auf Fälschung von Patientenunterlagen aufgetaucht. Das Verfahren wurde im April eingestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Mediziner fahrlässige Tötung vorgeworfen.
Im Mittelpunkt des Verfahrens stand die Frage, ob der Arzt eine Frau 1997 nach einer Totgeburt in die Nervenklinik Hildburghausen hätte überweisen dürfen. Das Suhler Amtsgericht hatte Zweifel an einem Zusammenhang zwischen der Überweisung und dem Tod. Die Frau litt unter hohen Entzündungswerten, deren Ursache unklar war. Sie war 1997 an einer Darmentzündung erkrankt und starb drei Jahre später nach Ansicht der Anklage und des Ehemannes an den Spätfolgen. Das Schriftstück, mit dem die Patientin in der Hildburghäuser Klinik ankam, war nicht mit dem identisch, das von der Polizei in die Akten übernommen wurde. Das Original ist von einem Arzt unterschrieben, die Kopie von zwei Ärzten. In der Kopie findet sich jedoch der Vermerk, dass die Patientin in die neurologische Abteilung der Klinik Hildburghausen eingewiesen werden sollte. Im Prozess hatte der leitende Frauenarzt behauptet, dass er die Frau in die Neurologie überwiesen habe. Das stand im Widerspruch zur Aussage einer Hildburghäuser Ärztin. Sie sagte aus, dass die Frau für die psychiatrische Klinik angekündigt wurde, weil bei ihr eine Wochenbett-Psychose vermutet worden sei.






Quelle: WAZ - Westdeutsche allgemeine Zeitung vom 24.Juni 2003
- Die Zeitung des Ruhrgebiets -

Tochter nahm eine Odyssee für die Gerechtigkeit auf sich

"Alles in Ordnung": Mit diesen Worten pflegte ein Internist aus Mülheim seinen Patienten Ludwig Kleina nach den regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen zu verabschieden.
Doch nichts war in Ordnung. Nur durch einen Zufall erfuhr der damals 79-Jährige, dass in seiner Lunge seit Jahren ein Tumor wuchs - vom Arzt unentdeckt. Das war im Oktober 1996. Tochter Gabriele Kleina ist überzeugt: "Mein Vater hätte älter werden können, wäre der Arzt nicht so inkompetent gewesen." Doch im April 2000 verstarb Ludwig Kleina an den Folgen seiner Krebserkrankung. Zu dieser Zeit hatte sich seine Tochter bereits an die Ärztekammer gewandt, prangerte die Fahrlässigkeit des Arztes an. "Das war ich meinem Vater schuldig", so Gabriele Kleina über ihre Motivation, eine Odyssee anzutreten, die sie durch Ämter und zu Rechtsanwälten, Sachverständigen und Experten führte - über vier Jahre lang. Rückhalt fand sie lediglich beim privaten Netzwerk ähnlich Betroffener unter:
www.behandlungsfehler-arztpfusch.de
Dann war endlich klar: Der Mediziner hatte den zuletzt Fünf-Mark-Stück großen Rundherd schlichtweg übersehen. Dabei hatten bereits Röntgenbilder von 1994 einen pfenniggroßen Flecken aufgewiesen - Röntgenbilder, die in der Praxis des Internisten angefertigt worden waren. Dies wirft ihm die zuständige Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler vor. "In diesem ersten Stadium hätte mein Vater höchstwahrscheinlich gerettet werden können", beklagt die Tochter. Auch die Schmerzensgeld- und Schadensersatzzahlungen in fünfstelliger Höhe sind kein Trost für die Frau, die Gerechtigkeit und Schutz weiterer Patienten fordert. "Davon wird mein Vater nicht wieder lebendig. Ich würde mir wünschen, dass der Arzt in eine Kartei kommt, so wie jeder Verkehrssünder registriert wird. "Auch die Tatsache, dass der Arzt strafrechtlich unbehelligt bleibt, entsetzt Gabriele Kleina: "Weil nicht 100-prozentig nachweisbar ist, dass mein Vater bei einer frühzeitigen Diagnose überlebt hätte, sind keine rechtlichen Schritte möglich." Sie hofft dennoch, dass ihr Fall anderen Betroffenen Mut macht. "Man sollte als Patient immer kritisch sein", fordert sie.
Ein Einzelfall ist der von Familie Kleina jedenfalls nicht: Allein im Zeitraum vom 1. Oktober 2001 bis 30. September 2002 untersuchte die Gutachterkommission der Ärztekammer Nordrhein 1508 Anträge. Das geht aus ihrem Tätigkeitsbericht 2003 hervor. Der Anteil der festgestellten Behandlungsfehler an den 1129 medizinisch beurteilten Begutachtungsanträgen lag bei 385. NIG.






Jahrelanger Kampf ums Schmerzensgeld

Philipp verließ Geburtsklinik als Schwerstbehinderter

Von unserer Redakteurin Rose Gerdts-Schiffler

Weser - Kurier vom 11.Juni 2003

Der sechsjährige Philipp kann seit seiner Geburt weder stehen noch gehen, essen oder sprechen. Ursache ist ein ärztlicher Kunstfehler, wie die verzweifelten Eltern mehrfach von Gutachtern bestätigt bekamen. Doch erst in der vergangenen Woche erhielten sie die Zusage auf eine erste Abschlagzahlung für die ausstehenden Schadensersatzansprüche. Zuvor hatten sie damit gedroht, den Fall öffentlich zu machen.
Der Vater des Kindes hat in all den Jahren gelernt, sich zu beherrschen. Betont sachlich sprach Rüdiger Holtz gestern vom "Schadensfall Philipp Holtz". Was für ein Martyrium seine Familie hinter sich hat, ist dennoch nur zu greifbar.
Am Morgen des 10. November 1996 kommt Philipp im Zentralkrankenhaus Bremen-Nord zur Welt. Tot. Doch obwohl das Kind zehn bis 18 Minuten ohne Sauerstoff war, gelingt die Reanimation. Philipp zahlt einen hohen Preis: Der Junge verlässt die Klinik als Schwerstbehinderter, der ständig Medikamente nehmen muss und in seinem kurzen Leben bereits 48 Krankenhausaufenthalte hinter sich hat. Vor der Geburt hatten die Ärzte ein Alarmzeichen übersehen. Denn acht Tage nach dem errechneten Geburtstermin hatte Susanne Holtz bei einem Blasensprung grün-gelbliches Fruchtwasser verloren. Trotzdem sollte die Geburt erst am nächsten Tag eingeleitet werden. Am nächsten Morgen entdeckt ihre Hebamme eher zufällig, dass das ungeborene Kind kaum noch Herztöne aufweist. Plötzlich geht alles sehr schnell. Als Rüdiger Holtz morgens im Krankenhaus nach seiner Frau fragt, liegt seine Familie bereits auf der Intensivstation. "Völlig verkabelt." Erst abends habe er nach und nach erfahren, was passiert sei.
Nach mehreren Gutachten steht für den Anwalt der Familie, Matthias Teichner, fest, dass nicht ein einzelner Arzt gepfuscht hat, sondern Organisationsmängel zu dem tragischen Vorfall führten. "Die Ärzte waren an diesem Wochenende total überlastet." Unter anderem habe keine kontinuierliche CTG-Überwachung stattgefunden, auf notwendige Blutuntersuchungen sei verzichtet worden.
Die Familie schaltete die von den Ärztekammern eingerichtete Schlichtungsstelle in Hannover ein. Das erste Gutachten bestätigte die Vorwürfe der Eltern, doch die Gesundheitsbehörde zweifelte die Expertise an. Die Schlichtungsstelle schaltete, ungewöhnlich genug, daraufhin einen zweiten Gutachter ein. Auch er stellte eine fehlerhafte Überwachung fest und empfahl eine Schadensregulierung. Holtz' Anwalt forderte 500000 Euro Schmerzensgeld sowie 750000 Euro Schadensersatz. Daraufhin bezweifelte die Gesundheitsbehörde, ob zwischen den Behinderungen und den ärztlichen Fehlern ein Zusammenhang bestehe. Ein Privatgutachten der Familie bestätigte auch das. Erst Ende vergangener Woche, als Journalisten den Fall aufgriffen, sagte die Versicherung eine erste Abschlagszahlung zu. Holtz: "Wer keinen so langen Atem hat wie wir, knickt vorher ein." "Wir sind nicht allein Herr des Verfahrens gewesen", warb gestern Staatsrat Arnold Knigge für Verständnis. Der Fall habe im engen Einvernehmen mit dem Versicherer geklärt werden müssen. Ohne ihn gehe es nicht. Seine Behörde habe allerdings "nicht die großen Zweifel gehabt", dass dem Kind auch Entschädigungen zustünden".
In einem Schreiben von Anfang dieses Jahres, das unserer Zeitung vorliegt, kritisierte die Ärztekammer jedoch die Behörde. Es sei unverständlich, dass sie es ablehne, in die von den Eltern vorgeschlagenen Vergleichsverhandlungen einzutreten.
Edeltraud Paul-Brauer von der Patientenstelle im Gesundheitsladen kritisierte gestern, dass es noch kein öffentlich zugängliches Schadensregister gebe. Schließlich kämen längst nicht alle Medizingeschädigten zu ihr. Dass er bundesweit nicht allein ist, weiß Rüdiger Holtz inzwischen aus dem Internet. Ein privater Kreis Geschädigter und Angehöriger tauscht sich dort unter

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regelmäßig aus.






Prozess gegen Chefarzt eingestellt

Gynäkologe soll durch Fehler Tod einer Patientin verursacht haben - Angeklagter beschwert sich

Suhl (AP) Ohne Verurteilung ist am Donnerstag der Prozess gegen den früheren Chefarzt der Suhler Frauenklinik zuende gegangen. Der 65-jährige Gynäkologe, der wegen fahrlässiger Tötung angeklagt war, stimmte auf Vermittlung des Richters einer Einstellung des Verfahrens zu. Ein Schuldeingeständnis lehnte er auch weiterhin ab. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, die drohenden Organschäden einer 36-jährigen Patientin nicht erkannt und sie stattdessen auf eine Psychose behandelt zu haben. Die infolge einer Fehlgeburt geschwächte Frau starb wenige Monate nach einer Notoperation im Oktober 2000. Der Zusammenhang zwischen der nicht durchgeführten Bauchspiegelung und dem Tod der Frau wäre nach Auffassung des Gerichts nur sehr schwer nachweisbar gewesen. "Insofern wären wir auch nach einer langwierigen Verhandlung näher an einem Freispruch als an einer Verurteilung gewesen", sagte Richter Bernd Linner. Der angeklagte Arzt beschwerte sich während des vierten und letzten Verhandlungstages vor dem Gericht über die seiner Meinung nach vom Ehemann der Verstorbenen initiierte Vorverurteilung. "Ich hätte anders gehandelt, wenn ich den Verlauf hätte vorhersehen können", sagte er. Der Witwer, der als Nebenkläger auftrat und den Fall mit einem privaten Netzwerk Medizingeschädigter aufgearbeitet hat, zog ein zwiespältiges Resümee:
"Zufrieden kann keine Seite sein, aber ich bin froh, dass endlich ein Deckel drauf kommt." Er habe alles versucht, um den Tod seiner Frau zu sühnen.


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Ende






Thüringer Allgemeine, 04.04.2003

Im Nachhinein klüger

Der Prozess gegen den ehemaligen Chefarzt der Frauenklinik Dr. Ulrich R. (65) wegen fahrlässiger Tötung wurde gestern in Suhl überraschend eingestellt. Wegen geringer Schuld des Angeklagten, wie es hieß. Beide Parteien einigten sich, um ein langes Verfahren vor weiteren Gerichten mit ungewissem Ausgang zu vermeiden.
Der angeklagte Arzt hatte bereits vor Gericht eine Herzattacke erlitten (TA berichtete).
"Ich möchte eine Lösung, die meiner Würde entspricht", so der angeklagte Gynäkologe zur Verhandlung. Einer Schuld sei er sich nicht bewusst. Er habe die Patientin Anja K. "nach bestem Wissen in jener verdammten Nacht behandelt", sagte er. Der Gynäkologe hatte Anja K. aus dem Suhler Krankenhaus mit Vollversorgung in die Nervenklinik Hildburghausen verlegen lassen. Die Mehrheit der Gutachter vor Gericht sah dies wegen sehr hoher Entzündungswerte im Blut der Kranken als Fehler an. Aber der direkte Nachweis zwischen der Verlegung und dem späteren Tod der Frau war nur schwer als fahrlässige Tötung beweisbar. Deshalb hatte die Anklage ihren Vorwurf auf fahrlässige Körperverletzung erweitert.
Die Oberhoferin Anja K. (36) hatte 1996 eine Totgeburt erlitten. Später war ihr Dünndarm an vielen Stellen wegen einer seltenen Antikörperkrankheit durchlöchert. Gestorben ist sie im Oktober 2000 nach jahrelanger Qual wahrscheinlich an einer extremen Venenverstopfung und mangelnder Blutzufuhr zum Darm. In seiner Begründung zur Verfahrenseinstellung verwies der Suhler Richter darauf, dass es einen besseren Weg zur Behandlung von Anja K. gegeben hätte. Aber im Nachhinein sind alle immer klüger, hieß es. Ob eine frühere Erkennung der schweren Baucherkrankungen den Krankheitsverlauf geändert hätte, blieb fraglich. Der Arzt Ulrich R. sagte zum Prozessende, dass er nur auf den Rat seines Anwalts der Einstellung des Verfahrens zugestimmt hat. "Im Herzen bin ich unschuldig", so R., der noch im Gerichtssaal von Zuhörern ein Buch mit dem Titel "Jeder Mensch hat einen Engel" geschenkt bekam. Nebenkläger Elmar K., der Mann der Verstorbenen, war "froh, dass endlich alles vorbei ist". Er hatte versucht, den Tod seiner Frau aufzuklären und auch vieles, was nicht in Ordnung war, aufdecken können. Die Kosten des Verfahrens zahlt die Staatskasse. Auf zivilrechtliche Ansprüche gegen den Nebenkläger Elmar K. verzichtete der Suhler Arzt.

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Freies Wort vom 04.04.2003

Verfahren eingestellt

SUHL - Kann ein Arzt jede Krankheit unzweifelhaft erkennen und ihre Folgen abschätzen? - Um diese Kernfrage drehte sich letztlich die Entscheidung des Suhler Amtsgerichtes im Fall des angeklagten ehemaligen Chefarztes der Suhler Frauenklinik. Mit letzter Sicherheit hätte das selbst in einem langwierigen Prozess nicht aufgeklärt werden können, meinte Amtsrichter Linner zu der Entscheidung, das Strafverfahren wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung einzustellen. Dem 65-jährigen Mediziner wird damit nun nicht mehr der Vorwurf gemacht, den Tod der Oberhoferin Anja Kordes verschuldet zu haben. Geblieben sei nur eine kleine Schuld, meinte der Richter. Die Patientin, bei der im Februar 1997 nach einer Fehlgeburt im sechsten Schwangerschaftsmonat sehr hohe Entzündungswerte auftraten, hätte vom Angeklagten nicht in das Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie in Hildburghausen verlegt werden dürfen. Möglicherweise hätte dann die Erkrankung - die Frau litt, wie man heute weiß, an der seltenen Erkrankung einer Darmvenen-Thrombose - früher erkannt und behandelt werden können. Aber der Richter hegte große Zweifel, ob durch die Entscheidung des Arztes letztlich der Tod der Frau im Jahre 2000 verursacht wurde. In der Anklage war noch davon ausgegangen worden, dass es sich um die Spätfolgen der nicht früher erkannten Erkrankung handelte.
Selbst der als Nebenkläger auftretende Witwer, der ein Buch über das qualvolle Sterben seiner Frau schrieb und eine Internetseite über Ärztepfusch einrichtete, schien mit dem Ausgang zufrieden. Er habe im Prozess erleben müssen, dass «alles nicht so einfach ist», sagte er gestern. Seine eindringliche Forderung richtet sich auf die Einrichtung von unabhängigen Gutachterstellen. Die versöhnliche Haltung des Witwers «rührte» den Angeklagten nach dessen Worten und veranlasste ihn zur <Vergebung>.



Widersprüche nicht geklärt



Der überraschende Ausgang des Verfahrens nach drei Verhandlungstagen und sieben Gutachtern sorgte gestern für Aufsehen. War der Witwer mit seiner Anzeige über das Ziel hinaus geschossen - oder war von den medizinischen Experten im Verfahren alles zerredet worden? Denkbar ist, dass die Krankheit von Anja Kordes einen schicksalhaften Verlauf genommen hatte, dass sie an der Darmthrombose sterben musste - so wie 85 Prozent der Menschen, die an dieser Krankheit leiden. Der angeklagte Arzt, der über Deutschland hinaus den Ruf eines sehr kompetenten Arztes genießt, behauptet, in jener Nacht mit der Überweisung eine richtige
Entscheidung getroffen zu haben. Denn Anja Kordes hatte, wie er und Kollegen anderer Fachabteilungen diagnostizierten, «einen unauffälligen Bauch». Eine Entzündung des zentralen Nervensystems hätte hinter den Entzündungswerten stecken können.
Deshalb habe er die Abklärung in der Neurologie angestrebt - so seine Aussage. Durch den Ausgang des Verfahrens bleiben Widersprüche ungeklärt, wie etwa zur vereidigten Aussage einer Hildburghäuser Ärztin, wonach die Patientin mit Verdacht auf Wochenbettpsychose in der Psychiatrie angekündigt wurde


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Thüringer Allgemeine vom 04.04.2003

Verfahren gegen Ex-Chefarzt aus Suhl eingestellt


Suhl (dpa/th) - Das Verfahren gegen einen 65 Jahre
alten Ex- Chefarzt des Suhler Klinikums ist am
Donnerstag vom Amtsgericht ohne Auflagen
eingestellt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte
ihm fahrlässige Tötung vorgeworfen. Er soll die
Entzündungswerte einer 33 Jahre alten Patientin
falsch eingeschätzt haben. Die Frau erkrankte
1997 nach einer Totgeburt an einer Darmentzündung.
Sie starb drei Jahre später, nach Ansicht der
Anklage und des Ehemannes an den Spätfolgen.






Meldung vom 2.4.2003, AIP - Associated Press

(DEU/TH/Gesundheit/Prozess KORR. AP Vermischtes AP-175)

Tod im Krankenhaus beschäftigt die Justiz

In Suhl steht ein Gynäkologe wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht - Diagnose soll fehlerhaft gewesen sein
Suhl (AP) Auf dem Grabstein steht: „Dieser Arzt kann uns nicht trennen.“ Das Schicksal dahinter beschäftigt Elmar Kordes aus dem thüringischen Oberhof schon seit anderthalb Jahren. Im Oktober 2000 starb seine Frau an inneren Entzündungen und Darmdurchbrüchen als Folge einer Totgeburt. So weit hätte es nicht kommen müssen, glaubt Kordes und verklagte den ehemaligen Chefarzt der Frauenklinik im Suhler Klinikum. Der Vorwurf: Fahrlässige Tötung. Am (morgigen) Donnerstag wird vor dem Amtsgericht Suhl das Urteil erwartet. Von 12.000 medizinischen Behandlungsfehlern in Deutschland geht das Robert-Koch-Institut jährlich aus. Doch nach Ansicht des angeklagten Gynäkologen war es kein eigenes Verschulden, das zum Tod der damals 36-jährigen Frau geführt hat. Angeklagt ist der 65-jährige Mediziner, weil er die Patientin mit Verdacht auf Wochenbettpsychose in die Landesfachklinik für Neurologie und Psychiatrie nach Hildburghausen überwiesen hatte. Dabei, so sagten mehrere Gutachter im Laufe des Prozesses aus, wiesen die um das 100-fache überhöhten Entzündungswerte der Frau eher auf ein Problem im Bauch als im Kopf hin. Drei Tage nach der Überweisung musste die Patientin notoperiert werden. Eine verstopfte Ader hatte ihren Darm zersetzt. „Solche Zerstörungen benötigen normalerweise zwei bis drei Tage“, sagte der verantwortliche Chirurg in Suhl aus. Bernd Feldmann, der Anwalt von Nebenkläger Kordes, folgert daraus: „Wenn die Frau gleich ins viel näher gelegene und mit einer Inneren Medizin ausgestattete Klinikum Meiningen verlegt worden wäre, hätte diese Entwicklung durch eine Bauchspiegelung vermieden werden können.“ Der Beweis, dass die Einweisung nach Hildburghausen ursächlich für den späteren Tod der Patientin war, ist schwierig. Der Angeklagte sieht seine Sorgfaltspflicht als Gynäkologe erfüllt. Die hohen Entzündungswerte habe er der diensthabenden Ärztin in Hildburghausen sogar noch telefonisch mitgeteilt, erklärte er.
Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Urkundenfälschung
Auf dem Einweisungsbeleg, den die Ermittler im Suhler Klinikum fanden, wird von der Möglichkeit einer Bauchspiegelung gesprochen, wenn es in Hildburghausen Unklarheiten geben sollte. Auf dem von Hildburghausen vorgelegten Beleg, der eigentlich mit dem Suhler identisch sein sollte, fehlt diese Eintragung. Die diensthabende Ärztin hier will nur über eine Wochenbettpsychose unterrichtet worden sein. Wenn anderes im Raume gestanden hätte, so sagte sie in Suhl aus, hätte sie die Frau gleich nach Meiningen verlegt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen wegen Verdachts auf Urkundenfälschung. Elmar Kordes hat inzwischen ein Internet-Netzwerk Medizingeschädigter gegründet. Ihm hätte es nach eigenen Worten genügt, „wenn sich vom Klinikum einmal jemand entschuldigt hätte“. So aber erwartet er am Donnerstag das Urteil - um damit ein Versprechen einzulösen, das er seiner Frau gab: „Wenn mir einmal etwas passiert, weißt du, was du zu tun hast!“






Quelle:
"Mittendrin", die besten Seiten des MDR, Ausgabe April 2003, 12. Jahrgang Nr. 04/2003 (Kostenlose MDR Zeitschrift, Auflage 200.000, erhältlich in den Lotto/Totto Annahmestellen in Thüringen)

Tabuthema Ärztepfusch

Ärzte vergessen ein Tuch im Bauch eines Patienten, erkennen Entzündungen nicht, entfernen falsche Venen. Doch wie viel "Kunstfehler" es wirklich sind, wird in keiner Statistik erfasst. Die Zahlen schwanken zwischen 12.000 und 30.000 jährlich. An die Öffentlichkeit dringt nur sehr selten ein Fall. Dabei geht es um Leben und Tod. Denn wenn Ärzte pfuschen, sterben nicht selten Menschen. Auch Anja Kordes?
Mitte März begann in Suhl der Prozeß gegen den ehemaligen Chefarzt der gynäkologischen Abteilung eines Thüringer Klinikums. Vorwurf: fahrlässige Tötung. Die Patientin Anja Kordes starb vor zweieinhalb Jahren. Sie war erst 36. Anja Kordes wird im Spätsommer 1996 schwanger. Ihre Frauenärztin stellt nach sieben Wochen eine Infektion fest, verordnet Antibiotika. Anfang 1997 stirbt das Kind im Mutterleib, soll aber auf Anraten der Ärzte auf natürlichem Weg heraus kommen. Anja Kordes bringt ihr totes Kind auf abenteuerliche Weise zur Welt, es rutscht in die Klinik-Toilette. Danach durchlebt sie furchtbare Schmerzen. Die Ärzte wiegeln dies als "Psychose nach Totgeburt" ab. Doch Anja Kordes leidet unter Entzündungen. Viel zu spät erkannt und falsch behandelt. 230 Arztbesuche in zweieinhalb Jahren, eine Folgeerkrankungen reiht sich an die nächste.Tragisches Ende. Sie stirbt am 10. Oktober 2000. "Dieser Arzt kann uns nicht trennen" lässt ihr Mann, Elmar Kodes, nach ihrem Tod auf den Grabstein meißeln. Und er beginnt einen fast aussichtslosen Kampf gegen den behandelnden Arzt. "Immer wenn mich der Mut verlassen will", sagt er, "sehe ich Anjas Augen auf dem Foto. Dann verspreche ich ihr, weiterzumachen." Jedes Jahr werden nach Angaben des Robert-Koch-Instituts rund 12.000 medizinische Behandlungsfehler in Deutschland nachgewiesen. Doch wie oft Ärzte wirklich pfuschen, lässt sich kaum sagen.
Zahlen aus den USA sind weitaus schockierender. Vier von 100 Patienten verlassen dort das Krankenhaus mit einem Leiden, das sie vorher nicht hatten. Fast jeder zehnte Patient soll danach an den Folgen von Behandlungsfehlern sterben. Das sind die Ergebnisse der bisher umfassendste Studie über Ärztepfusch, durchgeführt von der Harvard Universität. Die amerikanische Studie auf Deutschland umgerechnet hieße, jährlich sterben 30.000 Menschen an Behandlungsfehlern, eine Stadt wie Naumburg wäre ausgelöscht. "Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dem Arzt zu beweisen, dass eine bestimmte Handlung oder Unterlassung in einem konkreten Fall den Schaden verursacht hat, ist mit dem Arzthaftungsrecht nahezu unmöglich", sagt Patientenanwalt Jürgen Korioth. Und wenn es zu einer Verurteilung komme, so der Jurist, dann seien dies in aller Regel Geldstrafen. Doch damit will sich Elmar Kordes nicht abfinden. An die richtigen Informationen zu kommen, das ist das Schwerste, musste er erfahren. Er engagiert sich inzwischen im privaten Netzwerk Medizingeschädigter. "Die Opfer medizinischer Fehlbehandlungen müssen sich selbst helfen. Versteckt Euch nicht hinter dem Schmerz", rät er anderen Betroffenen. "Unsere Schicksale sind keine Einzelfälle!" Im Fall Anja Kordes erhob die Staatsanwaltschaft Meiningen vor einem Jahr Anklage. Das Amtsgericht Suhl hat in einem Zwischenverfahren geklärt, ob die Vorwürfe berechtigt sind und die Hauptverhandlung gegen den Arzt Mitte März begonnen. Sowohl der Arzt, der in einem anderen Bundesland noch immer praktiziert, als auch sein Verteidiger wollten sich zu den Vorwürfen vor der Urteilsverkündung nicht äußern. "Ich bin zufrieden, dass nun ein Abschluss in Sicht ist", sagt Elmar Kordes. "Vielleicht finde ich dann wieder etwas Ruhe. Möge der Richter nun ein gerechtes Urteil sprechen, den "Arzt" seiner gerechten Strafe zuführen und ihn verurteilen. Das ist mein neuer Lebensinhalt. Anja soll nicht umsonst gestorben sein".

* AUF DEN SPUREN VON PFUSCHERN
Teil 1 "Ärztepfusch"
30. April, 20.45 Uhr im MDR FERNSEHEN






Welt am Sonntag, 30.03.2003


Herzattacke vor dem Urteil

Gynäkologe angeklagt

von G. Schupelius, J. Völkerling
Suhl - Wer kann dieses Leid ermessen? Anja Kordes aus Thüringen ist 36, erwartet ein Wunschkind. Doch es wird eine Totgeburt, in der 24 Woche. Das war am 23. Januar 1997. Anja Kordes bricht sie zusammen: Krämpfe im Bauch, 50 Prozent Erblindung, Arme und Beine gelähmt. Klinikum Suhl: Gynäkologen und Internisten finden nichts, schicken sie in die Psychiatrie. Warum? Hat der Chefarzt des Suhler Krankenhauses, Prof. Dr. Ulrich R., mit dieser Verlegung einen tödlichen Fehler begangen? Erst zwei Tage später kommt Anja Kordes in die Not-OP. Der Chirurg rauft sich die Haare: Ihr Darm ist schon lange nicht mehr durchblutet, teilweise abgestorben. Es folgen sieben Operationen, sechseinhalb Wochen Koma. Und Anja Kordes wird nicht mehr gesund. Ihr Martyrium dauert dafür noch drei Jahre: 230 Arztbesuche, sie ist zu 90 Prozent schwerbehindert, schreit vor Schmerz, nimmt immer mehr Morphium, kommt auf die Warteliste für Dünndarmtransplantation, stirbt am 10. August 2000. Keinen Tag weicht Ehemann Elmar von ihrer Seite. „Dieser Arzt kann uns nicht trennen" schreibt er auf den Grabstein und verklagt Chefarzt Ulrich R. Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen fahrlässiger Tötung, der Prozess beginnt. Parallel gründet Kordes mit einem Bekannten das „Netzwerk Medizingeschädigter" (www.geoffrey-mike.de), in dem sich „alle treffen können, die Opfer ärztlicher Fehler geworden sind". Prozessende sollte Freitag- nachmittag sein. Doch es kam anders: Als im Gericht Einweisungsbelege vorgelegt werden, die dokumentieren, wie Anja Kordes vom Suhler Klinikum ins Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie nach Hildburghausen überführt wurde, greift sich der angeklagte Chefarzt urplötzlich an den Hals. Diagnose: Verdacht auf akute Herz-Rhythmus-Störungen.
Einen der Einweisungsbelege, die zu dieser Herzattacke führten, hatte die Kripo im Suhler Klinikum sichergestellt. Darauf steht etwas von der Notwendigkeit einer Bauchspiegelung. Die hätte Anja Kordes vielleicht das Leben retten können. Auf dem Durchschlag in der Hildburghausener Psychiatrie fehlt dieser Hinweis aber und noch einige andere Eintragungen, die auf dem Suhler Schein zu finden sind. Wurden Unterlagen manipuliert? Elmar Kordes hat Anzeige wegen Urkundenfälschung und versuchter Strafvereitelung erstattet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Am Donnerstag soll der Prozess fortgesetzt werden.

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HP WamS






Thüringer Landeszeitung, TLZ ,vom Samstag, 29.03.2003


Notarzt im Gerichtssaal

Suhl. (dpa/tlz) Ein angeklagter ehemaliger Chefarzt der Klinik Suhl hat bei einem Prozess wegen des Vorwurfs fahrlässiger Tötung Herzprobleme erlitten. Der 65-Jährige wurde von einem Notarzt in ein Krankenhaus gebracht. Der Ex-Chefarzt soll die Entzündungswerte einer Patientin nicht richtig beachtet haben. Die 36-Jährige starb drei Jahre später aus Sicht der Anklage an Spätfolgen. Der Arzt hatte diese Vorwürfe zurückgewiesen. Die Staatsanwaltschaft sprach auch von einem Anfangsverdacht wegen Urkundenfälschung. Die Frau aus Oberhof kam, so die Staatsanwaltschaft, im Februar 1997 im Schockzustand in die Klinik. Sie war erst wenige Tage zuvor mit Schmerzen im Bauch und Rücken nach Hause entlassen worden, nachdem sie eine Totgeburt hatte. Der angeklagte Mediziner veranlasste eine Überweisung in die Klinik für Neurologie und Psychiatrie in Hildburghausen. Tage später wurde eine Darmentzündung entdeckt und die Frau notoperiert. Ein Gutachter: Die Verlegung war ein Fehler.






Freies Wort vom 29.März 3003

„Ich vermute, ich habe Herzinfarkt“

SUHL – „Können wir unterbrechen, meinem Mandanten geht es nicht gut“, fragte Verteidiger Bodo Heinz. Mit hochrotem Kopf erhob sich der Angeklagte: „Ich vermute, ich habe einen Herzinfarkt.“ Mit diesen Worten verließ der ehemalige Chefarzt der Suhler Frauenklinik, gegen den wegen fahrlässiger Tötung verhandelt wird, gestern den Gerichtssaal - ein Notarztwagen brachte ihn ins Klinikum. Die Verhandlung war keine Stunde alt.
Zum Tod von Anja Kordes war gerade der Sachverständige Walter Kuhn gehört worden. Kuhn hat im Auftrag der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen in Hannover den Fall begutachtet. Aufgrund dieses Gutachtens - das einen Behandlungsfehler im Klinikum Suhl annimmt - zahlte der Haftpflichtversicherer eine hohe Summe an Anja Kordes aus. Noch zu ihren Lebzeiten.
Die junge Frau war am 1. Februar 1997 in die Suhler Notaufnahme eingeliefert worden mit unklaren Symptomen: Schockzustand, einem 100-fach überhöhten Entzündungswert, dazu Sehproblemen und Lähmungserscheinungen. Erst einen Tag zuvor hatte sie die Klinik verlassen nach einer Totgeburt. Noch in der Nacht ihrer Einlieferung wurde Anja Kordes gegen 2 Uhr nach mehreren Untersuchungen im Suhler Klinikum in die Landesfachklinik für Neurologie und Psychiatrie nach Hildburghausen verlegt. Ein Fehler?
Mehrere Sachverständige sagten, diese Verlegung hätten sie nicht angeordnet. Er habe dies veranlasst wegen der neurologischen Ausfallerscheinungen, die er geklärt haben wollte, sagt der Angeklagte. Falls nichts gefunden werden sollte in Hildburghausen, wollte er die Patientin zurück nehmen und eine Bauchspiegelung machen.
Diese Version unterscheidet sich beträchtlich von der Version der Hildburghäuser Ärztin, der durch den Angeklagten die Patientin in jener Nacht telefonisch angekündigt wurde. Ihr, so sagte die Ärztin unter Eid aus, sei Anja Kordes als Frau mit einer vermuteten Wochenbettpsychose angekündigt worden vom Angeklagten. Dass eine sofortige neurologische Untersuchung verlangt worden sei, daran könne sie sich nicht erinnern.
Platzt der Prozess?
Als Gedächtnisstütze hatte die Ärztin das Verlegungsprotokoll mitgebracht. Sie las daraus vor. Dabei fiel auf, dass sich ihr Protokoll von demjenigen unterschied, das in Händen des Gerichtes war, obwohl die beiden vom Klinikum Suhl gefertigten Verlegungsprotokolle identisch sein sollten. Im Protokoll des Gerichtes wird ausdrücklich eine neurologische Untersuchung der Patientin verlangt und - falls sie kein Ergebnis bringt - angekündigt, dass dann eine Bauchspiegelung in Suhl erfolgen soll. Dieser Nachsatz und dieses Protokoll würden also die Version des Angeklagten stützen.
Im Gegensatz zum Protokoll der Hildburghäuser Ärztin: Deren Protokoll spräche laut Staatsanwältin Iris Konrad-Weber dafür, dass die Patientin wegen einer vermuteten Wochenbettpsychose nach Hildburghausen verlegt worden sei. Die Staatsanwältin kündigte an, wegen der unterschiedlichen Protokollversionen ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt einzuleiten: Verdacht auf Urkundenfälschung. Die Ärztin des Suhler Klinikums, die das Protokoll unterzeichnet hat und möglicherweise die Unterschiede erklären könnte, war zwar als Zeugin vor Gericht geladen, sagte aber ab: Ihr Kind sei krank. So blieb nur der Gutachter Walter Kuhn. Er erklärte, die Entzündungsparameter bei Anja Kordes hätten so hoch gelegen, „dass jeder darüber stolpern muss, wenn er dafür keine adäquate Ursache findet“. Er, so der Sachverständige, hätte erst einmal den Bauch untersucht wegen der gefährlichen Entzündungswerte, die nicht vom Kopf kommen könnten, wenn nicht Kopfschmerzen oder Fieber vorhanden seien. Anja Kordes hatte keine solchen Symptome. Sie hatte eine verstopfte Ader, so dass ihr Darm sich zersetzte. Bei einer Bauchspiegelung zum Zeitpunkt der Verlegung oder auch am nächsten Tag im Landesfachkrankenhaus wäre der Befund sicher aufgefallen, urteilte Walter Kuhn. Auch in Hildburghausen wurde Anja Kordes nach Kuhns Akten Stunden nach ihrer Einlieferung untersucht: Sie habe über Schmerzen geklagt, außerdem sei keine Darmtätigkeit festgestellt worden. Die Entzündungswerte waren extrem. Niemand schlug Alarm. „Eigentlich“, urteilte der Sachverständige, „müsste man diese Neurologen auch involvieren“ - in diesen Gerichtsprozess, von dem niemand weiß, ob er fortgesetzt wird. Sollte der Angeklagte länger als zehn Tage verhandlungsunfähig sein, platzt der Prozess. Dann muss neu verhandelt werden.

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Thüringer Allgemeine Zeitung vom 29.März 2003

Verhandlung überraschend abgebrochen

Unerwartet unterbrochen wurde gestern der dritte Verhandlungstag gegen einen Suhler
Arzt wegen fahrlässiger Tötung. Zuvor hatte ein Gutachter Behandlungsfehler bei der verstorbenen Patientin erkannt. Außerdem erweiterte die Staatsanwaltschaft die Klage
auch auf fahrlässige Körperverletzung.
Mehrfach fasste sich der angeklagte Arzt Ulrich R. (65) während der Ausführungen des Gutachters an Hals und Brust. Als der Richter die Verhandlung deshalb unterbrach, vermutete Ulrich R. selbst "einen Herzinfarkt, aber verhandeln sie weiter". Ein Notarzt brachte den Angeklagten schließlich wegen akuter Herzrhythmusstörungen sofort in das Suhler Klinikum.
Zuvor hatte Gutachter Walter Kuhn (73) von der Göttinger Frauenklinik mehrfach auf extrem hohe Entzündungswerte der später verstorbenen Patientin von Ulrich R. hingewiesen. Statt normalen 8000 weißen Blutkörperchen hatte sie 40 000 im Körper. Kuhn: "Jeder Arzt muss da aufmerksam werden, vor allem, wenn er die Ursache nicht kennt." Die Entzündungen hätten auf eine Bauch- und keine Hirnerkrankung gedeutet, so der Experte. Damit widersprach er vorherigen Gutachten. Der angeklagte Arzt habe die Patientin aber wegen einer Wochenbettdepression, wie eine Zeugin unter Eid aussagte, zur Nervenklinik Hildburghausen bringen lassen. Dort stellte ein Arzt zehn Stunden nach der Einlieferung Probleme im Bauch der Frau fest. Später sei sie an Blutgerinnseln im Darm und einer seltenen Antikörperkrankheit gestorben.
Die Staatsanwältin erweiterte gestern die Anklage gegen Ulrich R. auf fahrlässige Körperverletzung. Sie will auch wegen Verdachts auf Urkundenfälschung ermitteln. Dem Gutachter hatte ein Arztbrief vorgelegen, der in mehreren gravierenden Punkten unterschiedlich zum Original war. Eine Einstellung des Verfahrens bei Zahlung einer Geldstrafe soll der Angeklagte im Vorfeld der gestrigen Verhandlung abgelehnt haben.

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Freies Wort vom Samstag, 22.03.2003

VERFAHREN GEGEN EHEMALIGEN CHEFARZT

Schicksal oder Versagen der Ärzte?

SUHL - Haben die Ärzte versagt in jener Nacht? Oder nur ein Arzt? Oder haben alle alles richtig gemacht am 1. Februar 1997 und das lange Sterben der Oberhoferin Anja Kordes war Schicksal? Über diese Fragen wird derzeit vor dem Amtsgericht verhandelt. Auf der Anklagebank sitzt ein ehemaliger Chefarzt der Suhler Frauenklinik. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm fahrlässige Tötung vor. Das Klima ist giftig, am Freitag war der zweite Verhandlungstag.
Anja Kordes wurde am 1. Februar 1997 in die Notaufnahme des Suhler Klinikums eingeliefert. Sie hatte, so viel steht fest, höchst unklare Symptome: einen Schockzustand, einen 100-fach überhöhten Entzündungswert (CRP-Wert), dazu Ausfallerscheinungen: Phasenweise konnte sie nichts sehen, dazu kamen Lähmungserscheinungen. Der Dienst habende Gynäkologe untersuchte die Frau, die erst tags zuvor nach einer Totgeburt aus der Klinik entlassen worden war. Ich habe, sagt der junge Arzt vor Gericht, "alle Register gezogen". Neben einer gynäkologischen Untersuchung wurde eine Computertomographie des Kopfes gemacht, ferner wurde ihr Bauch durch den hinzu gezogenen Internisten untersucht.
Der junge Arzt fand nichts Organisches. "Aufgrund der insgesamt unklaren Situation habe ich dann meinen Chef angerufen." Der Leiter der Frauenklinik kam gegen 1.30 Uhr und untersuchte Anja Kordes noch einmal gynäkologisch. Ohne Befund.
So viel von dem Geschehen scheint sicher zu sein. Mehr aber nicht.
Mitten in der Nacht wurde Anja Kordes dann nach Hildburghausen verlegt ins Landesfachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie. Wegen der neurologischen Symptome, sagt der Leiter der Frauenklinik.
Eine falsche Entscheidung bei einem 100-fach überhöhten CRP-Wert, kritisiert der Gutachter Günter Straube, ein Internist und Intensivmediziner. Sie hätte auf die Intensivstation gehört. Der Schockzustand der Patientin, der CRP-Wert und ihre Verwirrtheit hätten Hinweise auf eine schwere Stoffwechselstörung geliefert, mit der der Körper alleine nicht mehr fertig werden könne. Der Suhler Internist, sagt Straube, hätte seiner Ansicht nach nochmals hinzugezogen werden müssen. "Eine Computertomographie des Abdomens (Darm) hätte binnen 10 Minuten gemacht werden können. Dadurch hätte man schnell gesehen: Da ist was."
Stattdessen wurde Anja Kordes im Krankenwagen nach Hildburghausen gefahren. Wenn das nicht erfolgt wäre, wäre ihr späterer Tod so nicht eingetreten, glaubt der Sachverständige Straube. Für diese Aussage herrscht ihn sein Kollege Alexander Teichmann an: Er solle sich gut überlegen, ob er dabei bleibe. Straube bleibt dabei.
Alexander Teichmann, Frauenarzt am Klinikum Aschaffenburg, hält vor Gericht eine Rede über die horizontale Arbeitsteilung unter Deutschlands Medizinern: Sie beinhalte die Regel, dass sich der Arzt auf die Befunde seines Kollegen aus dem benachbarten Fachgebiet verlassen dürfe. Anja Kordes Darmbereich sei also nicht Obliegenheit der Gynäkologen gewesen, sondern des Internisten. Der Chefarzt der Gynäkologie habe demzufolge recht gehandelt, auch als er nach erfolgter internistischer Untersuchung im eigenen Hause Hilfe gesucht habe bei den Spezialisten in Hildburghausen. Zwar, das sagt Teichmann auch, erscheine ihm die Verlegung der Patientin in eine Klinik mit den Mitteln von Hildburghausen in ihrem Zustand unverantwortlich, aber das zu beurteilen habe nicht der verlegende Suhler Arzt, sondern die Einrichtung, die die Patientin aufgenommen hat. Der seien ja die Laborwerte und die Krankengeschichte mitgeteilt worden. War also die Dienst habende Ärztin in Hildburghausen schuld? Ihr, so gibt die Frau an, habe der Chefarzt der Suhler Gynäkologie mitgeteilt, dass er vermute, die Patientin leide unter einer Wochenbettpsychose. Daran, dass unverzüglich und sofort eine neurologische Untersuchung verlangt worden sei, könne sie sich nicht erinnern. Sie kann sich auch nicht erinnern, dass der Verdacht auf eine Entzündung im Gehirn ausgesprochen wurde beispielsweise auf Meningitis. "Wäre das gefallen, dann hätte ich lieber gesagt, dass die Patientin nach Meiningen gefahren werden sollte." Dort gibt es eine Intensivmedizin und eine Neurologie.
Am Sonntagmorgen wachte Anja Kordes in der Psychiatrie in Hildburghausen auf, kurz später wurde sie auf die Neurologie verlegt. Weitere zwei Tage merkte niemand, dass ihre Krankheit im Bauch steckte. Erst am Dienstag wurde sie ins Kreiskrankenhaus gebracht und sofort notoperiert. Der Dünndarm war nicht mehr durchblutet worden und hatte sich quasi zersetzt. Schwärzliches, grünliches, bestialisch stinkendes Gewebe, sagt der Chirurg - nach seiner Erfahrung benötige ein solcher Verfall mindestens zwei bis drei Tage.
Der Sachverständige Ingo Gastinger zitiert Studien, nach denen über die Hälfte solcher
Durchblutungsstörungen des Darmes wie bei Anja Kordes erst auf dem OP-Tisch entdeckt würden, 90 Prozent der Patienten stürben ohnehin. Schicksal also der Tod von Anja Kordes? Gastinger hat 15 Jahre in Suhl gearbeitet als Kollege des Chefarztes der dortigen Gynäkologie. Ärzteprozesse seien immer schwierig, sagt die Staatsanwältin. Wahrscheinlich wegen der horizontalen Arbeitsteilung. Am nächsten Freitag wird die Verhandlung fortgesetzt.


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Thüringer Allgemeine vom Samstag, 22.03.2003

Widersprüche in Arztbriefen

Geballtes Medizinwissen war auch am zweiten Verhandlungstag gegen einen Suhler Arzt für das Gericht maßgeblich. Der ehemalige Chefarzt der Suhler Frauenklinik Ulrich R. (65) ist der fahrlässigen Tötung einer 36-jährigen Oberhoferin angeklagt (TA berichtete). In der Beweisaufnahme ergaben sich in langwierigen Befragungen zahlreiche Widersprüche und auch Ungereimtheiten in Arztbriefen.
Der Richter musste beim Vergleich eines vom Notarzt aufgesetzten Protokolls feststellen, dass bei einer Kopie nicht nur die Unterschrift fehlte. Auch die Bewusstlosigkeit der Patientin war in der vorgezeigten Kopie nicht mehr angekreuzt.
Ebenso auffällig waren für ihn auch die Unterschiede in einem Arztbrief vom Suhler Klinikum an die Nervenklinik Hildburghausen. "Es ist schon sehr merkwürdig, dass sich hier in einem Exemplar Ergänzungen und ein anderes Datum finden", sagte der Richter. Die Staatsanwältin sprach von "Weglassungen und Ergänzungen zu Gunsten von Dr. R.".
Übereinstimmend sagten Mediziner aus, dass durch die Verlegung der 36-jährigen Anja K. vom Suhler Krankenhaus mit Vollversorgung in die Nervenklinik Hildburghausen an einem Wochenende wertvolle Zeit verstrich. Ulrich R. habe eine Nervenerkrankung vermutet, weil die Frau unerklärlich zuckte und zeitweise Lähmungserscheinungen zeigte. In Hildburghausen wurde Anja K., die später an inneren Entzündungen und Darmdurchbrüchen starb, in die Psychiatrie eingewiesen.
Der von der Staatsanwaltschaft bestellte Gutachter belastete den Chefarzt zusätzlich. Wegen extremer Entzündungswerte hätte Anja K. sofort auf eine Intensivstation gehört. Dort wären weitere Untersuchungen, wie durch einen Nervenarzt, möglich gewesen. Obwohl Gefahr im Verzug gewesen wäre, sei die Patientin aber noch der Belastung durch den Transport ausgesetzt worden. "Die Patientin hätte gerettet werden können", so das Fazit des Experten, "doch das Problem wurde unterschätzt."
Dagegen hielt ein Privatgutachter, dass Dr. R. seine Pflicht als Gynäkologe getan hätte. Vielmehr sei es am Internisten gewesen, die schwere Darmerkrankung zu erkennen. Einen Befangenheitsantrag der Anklage gegen einen weiteren Gutachter, der für Dr. R. aussagte, lehnte das Gericht ab. Die Verhandlung, zunächst nur für zwei Tage angesetzt, muss wegen der verzwickten Materie am Freitag fortgesetzt werden. Dann wird am Suhler Amtsgericht auch ein Urteil erwartet.


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Tageszeitung, Freies Wort - Thüringen vom Donnerstag, 20. März 2003, Seite 1 und 3

Elmar Kordes lässt die Frage nach dem Warum keine Ruhe

Als Patientin zwischen Klinik und Psychiatrie

Der grauenhafte Tod einer jungen Frau

Sie wünschte sich so sehr ein Kind - doch Anja Kordes starb mit 36 Jahren. Für ihren Mann bleibt auf ewig die Frage nach dem Warum.

VON ULLY GÜNTHER / Foto: ari
Vom Tor des Waldfriedhofs sind es 33 Schritte bis zur Kapelle, dann blüht rechts der Rhododendron, dahinter steht ihr Grabstein. Es ist letztes Geschenk von ihm, ein Unikat, ein besonderer Stein für eine besondere Frau. Hier auf diesem Weg hat er seine große Liebe zu Grabe getragen. Am Ende der 33 Schritte ruht unter den Friedhofsblumen eine Geschichte, wie sie kein Romanautor zu erfinden gewagt hätte: Seine Leser wären ihm abgesprungen wegen vorsätzlicher Grausamkeit.
Der Grabstein symbolisiert zwei Menschen, die miteinander verschweißt sind. Zwei, die das Schicksal zusammengekleistert hat, aneinander gekettet, zwei die zusammenwuchsen mitten im Verderben. Folgende Inschrift steht auf dem schwarzen Marmor: Anja Kordes, 19.11.1963 bis 10.10.2000. Und dann, weiter unten am Sockel: "Dieser ‚Arzt' kann uns nicht trennen. Wir sehen uns wieder, Dein Jogi."
Sie nannte ihn immer: "Jogi". Vielleicht weil er eine so ruhige Art hat. Er raucht Pfeife, er sieht mit seinem Schnauzer und den wachen braunen Augen ein bisschen aus wie der Schriftsteller Günter Grass, vor allem, wenn er den Kopf neigt und einen dieser fragenden Blicke von schräg unten schickt über die randlose Lesebrille.
Warum?
Warum haben sie sich getroffen, in jenem Herbst 1995 im Oberhofer Hotel Panorama? Er, der Kaufmann aus dem Sauerland, und sie, die Hausdame, zupackend, energisch, sie war zuständig für die Zimmer und die 1000 Betten. Es war ihr Traumjob, sie hatte sich hochgearbeitet, sie war stolz, eine Frau, die nicht klagt.
Er blieb ein Wochenende. Aber ein paar Tage später war er schon wieder da. Bei ihr. Elmar Kordes nickt. "Wir waren uns schnell einig." Neun Monate später bezogen sie die gemeinsame Wohnung, ein kleines Nest, 67 Quadratmeter, in Oberhof - mit einer Schachtel von Kinderzimmer. Beide waren sie über 30 Jahre alt. Sie träumten sich dieses Kind. Sie lagen im Bett und spannen Zukunftspläne, sie suchten ihm einen Namen - woher sollten sie wissen, dass ihr schönster Traum der Bote eines grässlichen Todes war?
Anja Kordes trug ihren Bauch voller Stolz. Wegen einer Infektionskrankheit musste sie im Dezember 1996 Antibiotika nehmen. Wie oft bei Erstgebärenden spürte sie die Kindsbewegungen kaum. Elmar Kordes ist einer jener fürsorglichen Männer, die ihre Frauen auf allen Wegen begleiten - erst recht zur Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchung bei der Frauenärztin. Elmar Kordes hat seine Frau angebetet.
"Ich finde das Herz nicht", sagte die Frauenärztin im Suhler Stadtzentrum. Kordes stand daneben. "Ich finde keine Herztöne." Kordes wurde blass. Es war der 23. Januar 1997, ein Donnerstag. Anja Kordes lag auf dem Untersuchungstisch, das Kind in ihrem Bauch zählte 24 Wochen. Sie fuhren sofort in die Klinik. Das Baby war tot. Anja Kordes verlangte einen Kaiserschnitt, um kein totes Kind zur Welt bringen zu müssen. Die Ärzte rieten ab, weil sich dadurch die Chancen auf eine erneute Schwangerschaft reduzieren würden.
Die Frau blieb liegen in der Klinik von Donnerstag bis zum Montag früh - mit ihrem toten Kind im Bauch, von dem niemand genau wusste, wie lang es schon nicht mehr atmete. Am Montag morgen, das war der 27. Januar, erhielt die damals 32-Jährige ein Wehenmittel. Sie wollte nicht in den Kreißsaal; sie wollte keine Neugeborenen quäken hören; sie wollte in ihrem Zimmer bleiben. Am Abend führte sie Elmar Kordes zur Toilette, ihr Mann musste sie stützen. "Sie bäumte sich auf, sie schrie" - das Kind fiel in die Toilette. "Jemand machte die Tür auf und sagte: Frau Kordes, schreien sie nicht so. Es sind doch noch andere Patienten im Haus." Später sah Elmar Kordes, wie sein Kind in einem kleinen Plastikeimer am Kreißsaal vorbei getragen wurde. Eine Schwester hatte es aus der Toilette geholt. "Wir gingen noch einmal in das Zimmer, in dem das Kind lag, um uns von ihm zu verabschieden. Wir haben nicht gewagt hinzuschauen, obwohl man uns gesagt hatte, es würde ruhig schlafend aussehen."
Am nächsten Tag, es war Dienstag, klagte sie über Bauch- und Rückenschmerzen; am Donnerstag musste eine Magenspiegelung abgebrochen werden. Sie spuckte beim Einführen des Gerätes altes Blut, sie war unwillig, sie sträubte sich. Sie bekam Schmerzmittel. Sie war schwach. Sie kippte aus dem Rollstuhl. Mitten in der Nacht duschte sie heiß, um sich Linderung zu verschaffen. - Sie hasste diesen Ort, an dem sie ihr Baby in eine Toilette gesetzt hatte. Sie wollte weg. Am Freitag wurde sie entlassen, das war der 31. Januar, ein Freitag.
"Daheim in Oberhof hat sie von Freitag Mittag bis Samstagabend das Sofa nicht verlassen. Sie ist auch nicht ins Bett nachts. Sie hatte zu große Schmerzen", berichtet Elmar Kordes. Am Samstagabend stand sie auf, sie musste zur Toilette: Im Flur knickten ihr die Beine weg. "Jogi", flüsterte sie, "ich sehe dich nicht, aber ich kann dich hören." Elmar Kordes lässt Pfeifenrauch aufsteigen. "Sie hat mich dabei angeguckt, deshalb bin ich so erschrocken. Wissen Sie, meine Frau hat auf Stahl gebissen normalerweise. Und jetzt klappten ihr einfach die Beine weg. Das war nicht ihre Art. Ich hatte damals schon Angst, dass sie stirbt."
Der Notarzt brachte Anja Kordes ins Klinikum Suhl, ihr Mann ließ sich von Bekannten hinterher fahren. "Ich fand sie alleine in der Notaufnahme. Sie fror. Unsere Bekannte breitete noch ihren Mantel über sie. Neben seiner Frau, auf einem Tischchen, sah Elmar Kordes ein Krankenblatt." Darauf stand unter anderem: Patientin ist orientiert, bekannte Psychose nach Totgeburt... gegebenenfalls psychiatrische Verlegung."
An jenem Samstagabend wurde Anja Kordes im Suhler Klinikum von mehreren Ärzten untersucht: Ihre Laborwerte wiesen drastisch erhöhte Entzündungsparameter auf. Aber eine gynäkologische Untersuchung, eine Kopf-CT, eine Sonographie des Oberbauchs blieben ohne Befund. Eine Röntgenaufnahme des Bauches wurde nicht gemacht.
Der Stationsarzt habe ihm gesagt, seine Frau sei organisch gesund, es handle sich um eine Wochenbettpsychose, versichert Elmar Kordes. "So bin ich an jenem Abend nach Hause. Ich hab' gedacht, Gott sei Dank nichts Organisches."
Noch in derselben Nacht erhielt er einen Anruf: "Wir verlegen ihre Frau nach Hildburghausen." In die Psychiatrie oder in die Neurologie? Darüber wird derzeit gestritten vor Gericht.
Am Sonntagmorgen jedenfalls stand Elmar Kordes in Hildburghausen vor der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie. Er musste klingeln. Seine Frau lag in einem Bett mit Gitterstäben. "Ich dachte, ich spinne. Sie sagte zu mir: Hol' mich hier raus." Der behandelnde Arzt erklärte ihm, dass seine Frau garantiert nicht an einer Wochenbettpsychose leide, sie werde sofort auf die Neurologie gebracht. Aber ein neurologischer Befund ergab sich nicht.
Am Dienstagmorgen wurde Anja Kordes aus der Landesfachklinik für Neurologie und Psychiatrie ins Kreiskrankenhaus Hildburghausen gebracht. Als Elmar Kordes dort eintraf, lag seine Frau auf dem Operationstisch. Drei Stunden wartete er im Flur.
Dann holte ihn der Stationsarzt der Gynäkologie in sein Büro und teilte ihm mit: "Wir glauben nicht, dass sie ihre Frau lebend wiedersehen." Anja Kordes musste notoperiert werden. Ihr Dünndarm war nicht mehr mit Blut versorgt worden und große Teile hatten sich bereits zu einer fauligen Masse zersetzt. Das Ausmaß der Schäden war so gewaltig, dass während der Operation der Chefchirurg geholt werden musste.
Er schaffte es, das Leben von Anja Kordes noch einmal zu retten. Tage später wurde sie ins Klinikum nach Gera verlegt. Sieben Wochen blieb sie ihm künstlichen Koma. Jeden Tag saß Elmar Kordes an ihrem Bett von morgens bis abends. "Ich hab gesagt, beweg' einen Finger, wenn du mich hörst." Meistens hat er dann ein kraftloses, aber deutlich bemerkbares Zucken gespürt. Es war wie der Flügelschlag eines Schmetterlings.
Als seine Frau aufwachte, hatte sie keine Muskulatur mehr. Sie konnte nicht einmal auf der Bettkante sitzen. Aber sie erzählte ihm von jenem Tunnel, über den Menschen, die an der Grenze des Todes angelangt waren, so oft berichten. Ein unwahrscheinlich helles Licht habe sie gesehen, ein warmes Licht, das sie trotz seiner Intensität nicht geblendet habe. "Ich habe mich unwahrscheinlich wohl gefühlt dort", sagte sie. Aber immer wieder habe sie die Stimme gehört: "Halte durch! Du bist noch nicht dran."
Am 31. Juli 1997 durfte Anja Kordes wieder nach Hause, nach Oberhof. Sie war am Ende ihres halbjährlichen Krankenhausaufenthaltes zu 90 Prozent schwerbehindert. Sie konnte keine Kinder mehr bekommen. Sie musste ein maßgefertigtes Korsett tragen. Ihr Ellbogen war steif. Eine Beschreibung der Wunden an ihrem Körper wollen wir allen an dieser Stelle ersparen. "Ohne dich Jogi, würde ich das alles nicht aushalten", sagte sie oft. Er fuhr sie jeden zweiten Tag zu einem anderen Arzt. Drei Jahre lang. Sie lebte ständig mit Schmerzen. Am Ende wurde sie noch drei Wochen künstlich ernährt, dann durfte sie sterben, 45 Kilogramm schwer, am 10. Oktober 2000 in Meiningen im Krankenhaus.
"Sie ist", sagt Elmar Kordes, "wirklich krepiert". Bei der Autopsie konnten die Organe aus ihrem Bauchraum, die normalerweise aneinander gleiten, nur noch als ein verwachsener Klumpen entnommen werden.
Über den Fall von Anja Kordes hat die AOK durch den medizinischen Dienst ein Gutachten fertigen lassen ebenso wie die Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern in Hannover. Aufgrund dieser Gutachten - die einen Behandlungsfehler im Klinikum Suhl annehmen - hat der Haftpflichtversicherer hohe Summen ausgezahlt an Anja Kordes noch zu ihren Lebzeiten, außerdem an die AOK und an die Rentenstelle in Berlin (BfA).
Derzeit läuft der Prozess gegen einen ehemaligen leitenden Arzt der Suhler Frauenklinik. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm im Fall von Anja Kordes fahrlässige Tötung vor.
Elmar Kordes betreibt seit dem Tod seiner Frau eine Seite für Betroffene im Internet
(www.geoffrey-mike.de), auf der mögliche Behandlungsopfer ihre Fälle schildern können und Hilfe erfahren. Manchmal geht er die 33 Schritte vom Eingangstor des Friedhofes bis zur Kapelle, rechts vorbei am Rhododendron, und hofft, dass sie angekommen ist bei dem Licht am Ende des Tunnels.


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Quelle: Thüringer Allgemeine vom 12.03.2003


Fragwürdige Verzögerung


Den Blick zum Witwer vermied der ehemalige Suhler Chefarzt Ulrich R. (65) gestern so gut es ging im Gerichtssaal. Elmar K. (43) ist Nebenkläger. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt den Chefarzt der fahrlässigen Tötung der Frau von Elmar K. Die 36-jährige Oberhoferin Anja K. soll falsch behandelt worden sein. Sie war im Oktober 2000 gestorben. Am ersten Verhandlungstag kamen nach kurzem Schlagabtausch beider Parteien vor allem verschiedene Gutachter zu Wort. Bevor die Mediziner gehört wurden, schilderte der Chefarzt in Rente, der jetzt auf Honorarbasis in Norddeutschland arbeitet, seine Sicht des Falles. Die 36-Jährige sei mit schlaganfallähnlichen Symptomen in das Suhler Klinikum eingeliefert worden. Sie litt unter Sehstörungen und konnte
kaum laufen. Kurz zuvor hatte sie eine Totgeburt erlitten. Nach Angaben des Gynäkologen R.. sei er lediglich als Berater von Kollegen zur Kranken gerufen worden. Seine Untersuchungen hätten einen "unauffälligen Bauch" bei Anja K. ergeben. Extrem hohe Entzündungswerte im Blut von Anja K. begründete R. mit der vorherigen Totgeburt. Doch gerade an schweren Entzündungen und einem Durchbruch des Dünndarms sei die Patientin später gestorben. R. habe aber eine Infektion im Zentralnervensystem vermutet und sie nachts in das Landesfachkrankenhaus Hildburghausen überwiesen. Streitpunkt blieb, ob die Kranke in die geschlossene Psychiatrie oder nur zur Nervenuntersuchung geschickt wurde. Gutachter stellten im Nachhinein schlimme Verwachsungen und Entzündungen im Bauch von Anja K. fest. Die Organe seien nur als Paket entnehmbar gewesen. Dadurch sei es zur Unterversorgung mit Blut gekommen. Zwei Gutachter werteten die Verzögerung der Behandlung durch die Überweisung nach Hildburghausen als schädlich. "Die Chancen der Patientin wären in einer so gut ausgerüsteten Klinik wie Suhl mit Labors besser gewesen", so Dr. Gotthard Beez. Allerdings schränkte er ein, dass man hinterher immer klüger sei. Gynäkologie-Professor R. beharrte darauf, dass er "korrekt gehandelt" hat.Er könne den grausamen Vorwurf nicht verstehen. Nebenkläger K. hofft "auf Gerechtigkeit durch seine Hartnäckigkeit". Er widmet sich seit Jahren nur noch dem Tod seiner Frau. Ein Gutachter der Staatsanwaltschaft, der den Arzt schwer belasten soll, wird erst am 21. März gehört. Ihm gegenüber steht dann ein Privatgutachter.





Quelle: Freies Wort vom 12.03.2003


Weiter schweigen über Behandlungsfehler


SUHL - Seit Dienstag wird am Amtsgericht Suhl gegen den ehemaligen Leiter der Suhler Frauenklinik, Prof. Dr. Retzke, wegen fahrlässiger Tötung verhandelt. Der heute 65-Jährige soll verantwortlich für den Tod einer jungen Frau sein, die im Jahre 2000 an den Spätfolgen einer
Fehlgeburt gestorben war. Die damals 36 Jahre alte Oberhoferin war am 1. Februar 1997 mit starken Schmerzen, Sehstörungen und teilweiser Bewusstlosigkeit in das Suhler Klinikum eingeliefert worden, aus dem sie erst einen Tag zuvor nach einer Totgeburt entlassen worden war. Nach speziellen Untersuchungen am Oberbauch und am Kopf sowie einer gynäkologischen Diagnose soll der Angeklagte die Patientin wegen einer angeblichen Wochenbett-Psychose an das damalige Landesfachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie in Hildburghausen überwiesen haben. Die Meininger Staatsanwaltschaft wirft Retzke vor, er habe extrem hohe
Entzündungswerte nicht beachtet, und es unterlassen, weiter gehende Untersuchungen zur Abklärung der Entzündungswerte zu veranlassen. Eine Thrombose sei deshalb zu spät erkannt worden. Nach Meinung mehrerer Experten habe dies am 10. Oktober 2000 zum Tod der jungen Frau geführt. Gestern in der Verhandlung am Amtsgericht Suhl hat der Angeklagte ein
Verschulden am Tod der Patientin bestritten. Vier Sachverständige, darunter Gynäkologen, haben ihre Gutachten vorgetragen. Sie widersprechen sich zum Teil. Es ist nach Angaben des Gerichtes bisher strittig, ob die Patientin damals in die Psychiatrie oder die Neurologie überwiesen wurde. Auch sei noch unklar, ob die Thrombose für den Angeklagen erkennbar war, oder ob diese schwer wiegende Erkrankung bereits bestand, als die junge Frau in der Suhler Klinik von ihm untersucht wurde.
Witwer schrieb Buch
Der Frage, ob der Gynäkologe die Thrombose hätte erkennen können, ob die Frau zur Beobachtung länger in der Frauenklinik hätte bleiben müssen, wird am 21. März weiter nachgegangen werden. Erst dann wird klar sein, ob der Mediziner einen groben Behandlungsfehler beging, als er die Frau nach Hildburghausen überwies. Dazu sollen drei weitere Gutachter und vier Zeugen gehört werden. In dem Verfahren sind ungewöhnlich viele
Gutachter aufgerufen, ihre Meinung zu sagen. Dies ergab sich, weil die Staatsanwaltschaft, der Anwalt des Witwers und auch der Angeklagte selbst ihre Experten ins Feld schickten. Der Bundesgerichtshof legt in seinem Urteil vom 3. Juli 2001 eindeutig fest, dass nur auf Grund von
Kollegengutachten ein anderer Arzt wegen eines groben Behandlungsfehlers haftbar gemacht werden kann. Die Beweislast hat jedoch der Arzt. Der Mediziner muss belegen, dass die mangelhafte Behandlung nicht zu dem Gesunheitsschaden oder Tod geführt hat. Gerichte
dürfen sich diesbezüglich nicht auf eigene Einschätzungen berufen. Der Witwer hat seiner Frau am Sterbebett versprochen, den Arzt, der seine Frau, wie er meint, fahrlässig sterben ließ, zur Verantwortung zu ziehen. Er schrieb noch zu ihren Lebzeiten ein Buch über die lange
Leidensgeschichte. Diese Klage reiht sich ein in zahlreiche andere Verfahren zu Arzthaftungen. Obwohl immer mehr Menschen von ihrem Recht auf Aufkärung von Behandlungsfehlern Gebrauch machen, schweigen viele Ärzte - vor allem ältere - nach Angaben des Marburger Patientenbundes noch immer eisern zu ihren Fehlern. Zu Gunsten von Karriere und Hirarchien würden Patienten im Unklaren gelassen. Der Marburger Bund fordert die Einrichtung einer
Forschungseinrichtung für Medizinschäden.





Quelle: Thüringer Allgemeine Zeitung vom 24.01.2003

Hinreichender Tatverdacht

SUHL. Wegen fahrlässiger Tötung muss ein leitender Suhler Gynäkologe vor Gericht.

Die Staatsanwaltschaft Meiningen hatte schon vor einem Jahr Anklage wegen eines möglichen Behandlungsfehlers einer Patientin erhoben. Doch erst jetzt wurden zwei Termine vom Suhler Amtsgericht für die Hauptverhandlung gegen den Arzt für März festgesetzt. Grund dafür sei
ein Zwischenverfahren gewesen, bei dem vom Gericht geprüft wurde, ob die Vorwürfe berechtigt sind. Ein Sprecher des Suhler Amtsgerichtes bestätigte jetzt "hinreichenden Tatverdacht gegen den Arzt".
Der 65-jährige Mediziner soll eine Patientin (36) aus Oberhof falsch behandelt haben. Die schwangere Frau war wegen einer Infektion in das Suhler Krankenhaus gekommen. Dort erlitt sie eine Totgeburt. Später klagte sie über starke Schmerzen in Bauch und Rücken. Der
beschuldigte Mediziner soll die Oberhoferin schließlich wegen einer Wochenbettpsychose in eine Nervenklinik geschickt haben. Extrem hohe Entzündungswerte im Blut seien nicht beachtet worden, heißt es.
Spätfolgen des Behandlungsfehlers hätten zu Vergiftungen und zum Tod der Frau geführt.
Das Suhler Amtsgericht muss nun klären, ob durch den Behandlungsfehler, den zwei Gutachten belegen, der Tod der Frau eintrat. Annähernd zehn Gutachten sollen zu dem Fall inzwischen vorliegen. Zudem waren mehrere Ärzte aus dem Suhler Klinikum im Vorfeld zur Sache befragt worden.
Die Haftpflichtversicherung hatte den Behandlungsfehler in einem Zivilverfahren bereits anerkannt und eine hohe Summe an den Ehemann gezahlt. Dagegen bestreitet der beschuldigte Arzt die Vorwürfe. Der Witwer wird vor Gericht als Nebenkläger auftreten. "Ich bin zufrieden, dass nun ein Abschluss in Sicht ist, vielleicht finde ich dann wieder etwas Ruhe", sagt der Mann, der mit anderen Betroffenen ein privates Netzwerk Medizingeschädigter im Internet unter
http://geoffrey-mike.de/ gründete.





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